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Bayerisches Wörterbuch (BWB)

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Träger immaterieller Kulturgüter

Dialekte sind keineswegs Sammel­surien zufälliger „falscher” Abweichungen von der Standardsprache. Ganz im Gegenteil sind sie Sprachsysteme mit eigenem Recht, aus denen heraus die Standard­sprache überhaupt erst in den letzten Jahrhunderten allmählich entstanden ist und aus denen sie sich nach wie vor speist. Darum ist der Wortschatz der Mundarten von großer Bedeutung, auch für die Geschichte und Gegenwart der deutschen Sprache insgesamt.

Der Dialekt ist Ausdruck und Spiegel der Arbeits- und Lebensgewohnheiten, des Brauchtums und Denkens, ja der gesamten politischen, geistigen und kulturellen Geschichte einer Sprechergemeinschaft. Vor diesem Hintergrund zählen die Mundarten zu den wertvollsten Kulturgütern, die wir kennen. Die Forschungs- und Dokumentationsarbeit, die durch die großen wissenschaftlichen Dialektwörterbücher geleistet wird, ist für das kulturelle Gedächtnis einer Region wie auch für die Bewahrung ihres spezifischen lebendigen Sprachgebrauchs unerlässlich.

Untersuchungsraum und Untersuchungszeit

Das Arbeitsgebiet des Bayerischen Wörterbuchs erstreckt sich auf Oberbayern, Niederbayern, die Oberpfalz und auf die angrenzenden bairischen Gebiete Bayerisch-Schwabens sowie Mittel- und Oberfrankens. Neben den heute gesprochenen Mundarten wird auch die literarische Überlieferung aus Bayern seit ihren Anfängen im 8. Jahrhundert mitberücksichtigt.

Vielfalt des bairischen Wortschatzes

Das Bayerische Wörterbuch erarbeitet die genauen Wortbedeutungen in ihrer histori­schen Entwicklung und ihrer heutigen geo­graphischen Verteilung. Zu diesem Zweck werden Belege aus dem mündlichen wie schriftlichen Sprachgebrauch gesammelt sowie Redensarten, Vergleiche, Sprichwörter, Rätsel und vieles mehr dokumentiert. Textbeispiele sowohl aus literarischen Quellen als auch der lebendigen Rede des Volkes veranschaulichen die Bedeutung der Wörter und ihre Verwendung im Satz.
Wenn nötig werden volks- und sachkundliche Informationen sowie Angaben zur Aussprache und zur Wortherkunft gegeben.

Die Wörter und ihre Bedeutungen

Wort und Wortinhalt, das ist in den seltensten Fällen eine 1:1-Relation. Eine lebendige, farbige Sprache, wie es die Dialekte sind, kann eine bestimmte Bedeutung durch mehrere unterschiedliche Bezeichnungen ausdrücken, die sich oft nur in kleinen Nuancen voneinander unterscheiden.

So kennt das Bairische für die Bedeutung „Zunge” unter anderem die Bezeichnungen Blätsche, Bläuel, Bleck, Blecker, Breitling, Plapper, Plärrel, Plempel, Plesche, Pleschel, Pleschling, Plettel, Pletter, Läsche, Lätsche, Lecker, Lell, Leller, Schläpper, aber auch zahlreiche Bezeichnungen mit übertragener Bedeutung wie z.B. (Spül)Lumpen, Rüssel, Schlecker.

Umgekehrt haben Bezeichnungen meistens mehrere unterschiedliche Bedeutungen: So sind in Haunzenbergersöll (Altlandkreis Vilsbiburg) mit Pleschel „Schläge” gemeint; in Lauterhofen (Neumarkt) steht dieses Wort für eine „eitrige Blase oder Rufe”; weiter verbreitet sind allerdings die Bedeutungen „großer, starker Mensch”, „schwerfälliger Mensch”, „ungeschickter Mensch”. Auch als Bezeichnung für einen Körperteil wird Pleschel sehr häufig verwendet: Wenn es in Starnberg heißt: Der ko mit seim Bleschl d’Stubn z’sammkehrn, dann ist damit auf eine „große Zunge” angespielt, wenn einer z.B. in Seeon (Traunstein) seinen Bleschl hängen lässt, wird dort die „Lippe” bezeichnet, und wenn man in Ettal (Garmisch) sagt: hau ihm doch oane auf sein Bleschl!, meint man dort den ganzen Mund. Hört man in Obernried (Cham): der håt Bleschl wöi a Sa (Sau), dann wundert man sich dort über jemandes „große Ohren”. Und wenn in Teising (Mühldorf) einer droht: jez kriagst oane aufe a dein Bleschl, ist der ganze „Kopf” gemeint.

Aber Pleschel kann nicht nur menschliche Körperteile bezeichnen: Vereinzelt in Niederbayern ist es der „Kehllappen des Hahns”, so in Train (Kelheim), oder sein „Kamm”, wie in St. Englmar (Bogen). In weiten Teilen Bayerns verbreitet ist auch die Bedeutung „Krug”; dafür gibt es schon in älteren Quellen Zeugnisse, z.B. 1752 aus Wunsiedel: 1 beschlagener Walburger Plöschel. Ganz allgemein kann man mit Pleschel auch „etwas Großes” bezeichnen: a Pleschl von an Kåstn „großer Schrank” (Oberpfalz).

Das Spiel mit den Wörtern

Was wäre eine Sprache ohne spielerische Elemente, wie sie in Redensarten, Sprüchen, Versen, Wortspielen vorkommen? Auch sie sind Gegenstand des Bayerischen Wörterbuchs. Die Bedeutung „Zunge” steht hinter Redensarten wie: häng dein Bleschl net so weit ins Glas! „trink nicht so lange“ (Erlau, Lkr. Wegscheid); der hot sein Blesche wieder fest gwetzt „eine Angelegenheit aufgebauscht“ (Geiselhöring, Lkr. Mallersdorf); den hat da Ochs mit sein Bläschl gströhlt „er hat hochstehende Haare“ (Mintraching, Lkr. Regensburg); oan min Bläschl umbringa „Rufmord begehen“ (Niederbayern).

Das Wörterbuch enthält auch scherzhafte Ausdrücke wie Boggerl mäh! zu einem schmollenden Kind (Rottendorf, Lkr. Nabburg), Wortspiele wie du blüahst ja wia a Nagerlstock („Nelke”), wenn jemand Pickel hat (Aidenbach, Lkr. Vilshofen), da Märznbock stößt „wirft einen um, wenn man zuviel Bier getrunken hat“ (Weil, Lkr. Landsberg), Zungenbrecher wie a schö brau bråtns Brustbradl (Ingolstadt), Sprüche wie liawar a schene Glatzn åisa fuksige Baruckn (Ingolstadt), schnupft ma an Pris, weils mit da Lies a nix mehr is (Germering, Lkr. Fürstenfeldbruck), prost, daß d’Gurgl ned rost! (weit verbreitet), Verse wie as is a Kraiz auf dera Wejt, da-r-oa håt an Baitl, da-r-anda ’s Gejd (München), niks is so vadriasli und niks is so fad wia-r-a zuckerigs Mannsbuid und a siaßa Sålåt (Oberbayern). Auch Schnaderhüpfel werden berücksichtigt: da Geldbörs is maga und d’Schliaßn voll Rost, es war ja koa Wunder, wenns Bier soviel kost (Deggendorf), des is halt a Bäuerin, de macht alles verkehrt, en Schofhammel hots grupft und en Ganserer gschert (Langenthonhausen, Lkr. Parsberg).

Die Wörter und ihre Geschichte

Im Laufe ihrer Geschichte verändern die Wörter in der Regel die Lautform, aber auch die Bedeutung. Wenn nun Historiker, Juristen, Volkskundler und alle an der Geschichte der Bayern Interessierten alte schriftliche Quellen lesen und verstehen wollen, sind sie auf Erklärungen dieser alten Wortformen und -bedeutungen angewiesen.

Ein Volk, das seine alten Schriftzeugnisse nicht mehr versteht, schneidet sich von der eigenen Geschichte ab.

Natürlich sind für Sprachforscher regionale Wörterbücher mit Erklärungen historischer Wortformen unerlässliche Grundlagenwerke, denn die Geschichte der deutschen Sprache ist ja nichts anderes als die Geschichte der deutschen Regionalsprachen.

Deshalb stellt das Bayerische Wörterbuch den Wandel der Wörter und ihrer Bedeutungen im Laufe der Geschichte seit Beginn der Auf­zeich­nun­gen in deutscher Sprache im 8. Jahrhundert dar. So erfährt man etwa, dass Botung im 14. Jahrhundert „Anordnung, Befehl” (z.B. in allen unsern Potungen, München 1386) und Brösel im 19. Jahrhundert sowie Fahrt im 17. Jahrhun­dert eine „kleine Zeitspanne, Weile” bezeichneten.

Was erfahre ich aus einem Wörterbuchartikel?

Die einzelnen Artikel in einem Wörterbuch bieten einen reichen Schatz an Informationen zu einem bestimmten Wort:

  • welche Bedeutungen das Wort im Einzelnen hat
  • wo diese Bedeutungen jeweils vorkommen
  • wie das Wort im Satz verwendet wird
  • in welchen Fügungen, Redensarten, Versen, Sprüchen, Bauernregeln das Wort vorkommt
  • die Herkunft des Worts
  • wie das Wort in den unterschiedlichen Regionen lautet (phonetische Umschrift)
  • grammatische Angaben, wie z.B. die Wortart, bei Hauptwörtern das Geschlecht
  • volkskundliche und sachliche Hintergründe
  • Verweise auf die wichtigsten Wörterbücher und Grammatiken, die das Wort behandeln